Karpaltunnel-, Kubitaltunnel- und seltene Nervenkompressionssyndrome

2022-12-02 19:38:54 By : Mr. Xudong Li

Hintergrund: Das Karpaltunnelsyndrom ist das mit Abstand häufigste Engpass-Syndrom eines peripheren Nervs. Etwa jeder sechste Erwachsene ist hiervon mehr oder weniger betroffen. Die Retinakulumspaltung ist der zweithäufigste höherwertige operative Eingriff in Deutschland. Das Kubitaltunnelsyndrom ist 13 × seltener. Die restlichen Engpass-Syndrome spielen zahlenmäßig nur eine marginale Rolle.

Methode: Selektive Literaturrecherche in PubMed und der Cochrane-Bibliothek unter Einbeziehung von Leitlinien und der klinisch-wissenschaftlichen Erfahrung der Autoren.

Ergebnisse: Wenn durch Elektrophysiologie und Bildgebung Diagnose und Indikation gesichert sind und der Eingriff lege artis durchgeführt wird, sind die Ergebnisse unabhängig vom Operationsverfahren beim Karpaltunnelsyndrom (KTS) sehr gut, wie durch randomisierte kontrollierte Studien mit hoher Evidenz belegt wurde. Die Erfolgsrate für die offene Operation beträgt 91,6 %, für die Einportalmethode 93,4 % und die Zweiportalmethode 92,5 %. Die Komplikationsrate liegt bei erfahrenen Operateuren unter 1 %. Dies gilt auch eingeschränkt für das Kubitaltunnelsyndrom, bei dem die Operationsergebnisse insgesamt schlechter sind als beim Karpaltunnelsyndrom. Neurosonographie und Magnetresonanztomographie (Neuro-MRT) ergänzen zunehmend die Elektrophysiologie.

Schlussfolgerung: Während es zu den beiden häufigsten Kompressionssyndromen evidenzbasierte Diagnoseverfahren und Therapieempfehlungen gibt, sind zu den meisten selteneren und vor allem umstrittenen Syndromen weitere kontrollierte Studien erforderlich.

Nervenkompressionssyndrome sind chronische Irritationen und Druckläsionen innerhalb anatomischer Engpässe beziehungsweise fibroossärer Kanäle. Von den typischen Engpass-Syndromen sind akute Druckschäden der Nerven durch äußere Druck- oder Gewalteinwirkung, bei oberflächlichem Nervenverlauf in der Nähe von knöchernen Vorsprüngen oder Dehnungsschäden in der Nähe von Gelenken abzugrenzen. Mischformen kommen vor. Klinisch führende Symptome sind Parästhesien, Sensibilitätsstörungen und/oder Paresen (1). Diagnostisch zielführend sind neben Anamnese und klinischem Befund elektrophysiologische Untersuchungen und Bildgebung (1). Für die Patienten stellen Nervenkompressionssyndrome zwar keine lebensbedrohlichen oder zur Invalidität führenden Erkrankungen dar, sind aber für den Betroffenen sehr beeinträchtigend.

Obwohl das Karpaltunnelsyndrom das mit Abstand häufigste und wichtigste Kompressionssyndrom eines peripheren Nervs und wegen seiner typischen Symptomatik meist klinisch zu diagnostizieren ist, sind Fehldiagnosen als C7-Syndrom oder „Durchblutungsstörungen“ (zum Beispiel M. Raynaud) nach Erfahrung der Autoren nicht ungewöhnlich. Das Kubitaltunnelsyndrom, auch als Ulnarisneuropathie am Ellenbogen bekannt, ist das zweithäufigste Syndrom und 13 × seltener als das Karpaltunnelsyndrom (2). Die früher übliche Bezeichnung Sulcus-ulnaris-Syndrom wurde weitgehend verlassen, da sie den Läsionsort nur unzureichend beschreibt und Anlass für aufwändige, heute seltener durchgeführte Verlagerungsprozeduren war. Zu beiden Syndromen gibt es S3-Leitlinien, die diesem Beitrag zugrunde liegen (2, 3). Die weiteren Engpasssyndrome, die zahlenmäßig nur eine untergeordnete Rolle spielen und teilweise umstritten sind (Tabelle 1) , werden im zweiten Teil der Übersichtsarbeit zusammengefasst.

Eine ausführlichere Darstellung findet sich in einer aktuellen Monographie (3). Das Karpaltunnelsyndrom wurde bereits im Jahr 2002 umfassend dargestellt (4).

Der Leser soll nach dem Studium dieser Übersichtsarbeit in der Lage sein:

Die Literaturrecherche für Karpaltunnelsyndrom und Kubitaltunnelsyndrom basiert auf den beiden S3-Leitlinien Diagnostik und Therapie des Karpal- und Kubitaltunnelsyndroms (2, 3) die bis 2014 aktualisiert und auf die zusätzlich abgehandelten selteneren Engpass-Syndrome ausgeweitet wurden. Die Suche nach randomisiert kontrollierten Studien, systematischen Reviews und Leitlinie erfolgte über Medline (PubMed), Cochrane Library und Leitlinien-Datenbanken (Homepages der deutschen Fachgesellschaften/Organisationen [AWMF und ÄZQ] und die Homepages internationaler Fachgesellschaften/Organisationen:

Das Karpaltunnelsyndrom ist das mit weitem Abstand häufigste Engpasssyndrom eines peripheren Nervs (3, 4). In Deutschland werden jährlich etwa 300 000 operative Eingriffe zu 90 % ambulant durchgeführt (5). Nach der Kataraktoperation ist die Dekompression bei Karpaltunnelsyndrom der zweithäufigste höherwertige ambulante Eingriff. Genau Zahlen liegen nicht vor, weil die kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) seit Einführung des neuen Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) keine Operationsstatistiken mehr veröffentlicht hat. Ursächlich ist eine (chronische) Kompression des N. medianus im Karpalkanal (Grafik 1).

Untersuchungen der erwachsenen Bevölkerung Südschwedens ergaben eine Häufigkeit (Prävalenz) von 14,8 % für die typischen Symptome des Karpaltunnelsyndroms und von 4,9 % für die elektroneurographisch verifizierten Fälle (3). Die Zahl der Neuerkrankungen (Inzidenzrate) liegt bei mehr als drei Fällen pro 1 000 Einwohner (3). Frauen sind drei- bis viermal häufiger betroffen als Männer. Die Prävalenz korreliert mit dem Alter der Patienten und liegt am höchsten zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr (4). Das Karpaltunnelsyndrom tritt in der Regel beidseits auf, wobei die dominante Hand häufiger und stärker betroffen ist. Familiäres Vorkommen ist nach Erfahrung der Autoren nicht ungewöhnlich (e1). Die Handstellung an der Computertastatur scheint bedeutungslos zu sein (e2).

Die Manifestation erfolgt häufig im Rahmen einer Synovialitis beziehungsweise einer (eventuell berufsbedingten) Überlastung und bevorzugt auch in der Schwangerschaft (3). Eine Anerkennung als Berufskrankheit ist bei bestimmten Tätigkeiten möglich, die mit repetitiven Beuge- und Streckbewegungen der Hände einhergehen (zum Beispiel Fließbandarbeiter, Fleischverpacker, Gärtner, Musiker usw.) (5).

Erstes und führendes Symptom beim Karpaltunnelsyndrom ist das schmerzhafte „Einschlafen“ der Hände, vor allem in der Nacht (Brachialgia paraesthetica nocturna) (1, 3, 4). In fortgeschrittenen Fällen kommen eine anhaltende Taubheit der Finger 1–4 und Probleme bei feineren Handarbeiten hinzu. Erst im Endstadium findet sich eine Atrophie der Daumenballenmuskulatur. Diagnostisch beweisend sind Elektrophysiologie und Bildgebung (Kasten 1) .

Neben der Untersuchung auf sensible und motorische Ausfälle sind klinische Tests (Hoffmann-Tinel-Zeichen und Phalen-Test) als Screening-Methode gebräuchlich. Auch bei typischer Anamnese und entsprechendem klinischen Befund ist eine elektroneurographische Untersuchung zur endgültigen Sicherung der Diagnose, sowie als Basis für Verlaufskontrollen, erforderlich.

Die bildgebenden Verfahren – hochauflösende Neurosonographie und Kernspintomographie – gewinnen zunehmende Bedeutung, sind jedoch derzeit noch nicht erste Wahl. Eine Metaanalyse von 19 Arbeiten kam auf eine Sensitivität von 77,6 % und eine Spezifität von 86,8 % [Fowler et al 2011 (6)]. Dem standen eine Spezifität der sensiblen Neurographie von 98 % und eine Sensitivität von 71 % gegenüber (7). Eine evidenzbasierte Leitlinie empfiehlt die Methode als wertvolle Ergänzung der Elektrodiagnostik, insbesondere zum Nachweis struktureller Veränderungen im Bereich des Handgelenks (8).

Wichtigste Differenzialdiagnosen des Karpaltunnelsyndroms sind das C(6)-7-Syndrom und die Polyneuropathie. Für ein radikuläres Syndrom sprechen folgende Kriterien:

Die Kombination eines Karpaltunnelsyndroms mit einer radikulären Symptomatik ist nicht ungewöhnlich, die mit einer diabetischen Polyneuropathie überdurchschnittlich häufig. Die Prävalenz ist höher bei Patienten mit (30 %) als ohne diabetischer Polyneuropathie (14 %) (9).

Eine Behandlungsbedürftigkeit des Karpaltunnelsyndroms liegt dann vor, wenn typische Beschwerden gehäuft auftreten oder anhalten und ein Leidensdruck besteht, nicht jedoch bei pathologischem elektrophysiologischem Befund ohne entsprechende klinische Symptomatik.

Konservative Behandlung – Im Frühstadium der Erkrankung sind vor allem die nächtliche Schienung des Handgelenks und die lokale Infiltration eines Kortikoidpräparates zu empfehlen, deren Wirksamkeit durch prospektive und randomisierte Studien belegt ist (e3, 10). Für erstere fand sich in Langzeitstudien eine gute Wirksamkeit, während diese bei letzterer auf vier Wochen limitiert ist (3). Bezüglich der Gabe von entzündungshemmenden, nichtsteroidalen Medikamenten zeigt die gegenwärtige Datenlage keinen anhaltenden signifikanten Effekt (3).

Ultraschall, Übungs- und Mobilisationsverfahren einschließlich Yoga wiesen nur eine sehr geringe Überlegenheit gegenüber Placebo (e3–e5) auf und können nicht als Behandlungsalternative empfohlen werden.

Die Frage nach der Dauer der konservativen Behandlung beziehungsweise dem Zeitpunkt für die Operation ist nicht eindeutig zu beantworten und hängt wesentlich von dem Leidensdruck des Patienten ab. Sie sollte jedoch möglichst vor dem Auftreten persistierender neurologischer Ausfälle stattfinden.

Operative Behandlung– Indikationen für eine operative Therapie sind:

Mehrere randomisierte kontrollierte Studien belegen die Überlegenheit der operativen gegenüber der konservativen Behandlung (gleichermaßen für die offenen und die endoskopischen Methoden) insbesondere im Hinblick auf die Spätergebnisse (11–15). Zwingend erforderlich bei der operativen Therapie ist die komplette Spaltung des Retinakulums. Die heute fast immer ambulant durchgeführte Operation kann auch in der Schwangerschaft, bei Diabetikern, Dialysepatienten und sehr alten Patienten indiziert sein (3).

Die verschiedenen operativen Verfahren sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Die Therapie der Wahl stellt die offene Spaltung des Retinaculum flexorum als die einfachste und am häufigsten angewandte Technik dar.

Minimal-invasive Techniken gelten heute in der Hand des erfahrenen Operatuers ebenfalls als sicher (e6). Die Ergebnisse entsprechen denen der offenen Operation, was durch vergleichende randomisierte Studien und Reviews bestätigt wurde (12).

Die am häufigsten eingesetzten endoskopischen Systeme sind das Agee-Instrumentarium als monoportale Technik und das Chow-System als biportales Verfahren. Die Spaltung des Retinakulum erfolgt jeweils unter endoskopischer Sicht, wobei Führungskanülen und verschiedene Messer (Chow-Methode) oder ein pistolenähnliches Instrument (Agee-Methode) zur Hilfe genommen werden. Da die „Lernkurve“ länger ist als bei der offenen Technik, ist ein ausreichendes endoskopisches Training erforderlich (16). In einer aktuellen Metaanalyse mit niedriger Evidenzqualität der ausgewerteten Studien (17) zeigten sich nach endoskopischen Eingriffen bei gleicher Komplikationsrate eine schnellere Rückkehr zur Arbeit und eine frühere Wiederkehr der groben Kraft der Hand.

Eine frühe funktionelle Übungsbehandlung ist bereits in den ersten Tagen nach der Operation anzustreben. Eine generelle postoperative Rehabilitation mit Handgelenksorthesen, Kältetherapie, Lasertherapie sowie multimodaler Handrehabilitation, Elektrobehandlung und Narbendesensibilisierung sind jedoch bei unkompliziertem Verlauf nicht indiziert, da es keine hinreichende Evidenz für diese Behandlungsverfahren gibt (18).

Die Ergebnisse sind bei rechtzeitiger Durchführung des Eingriffs sehr gut. Die Erfolgsraten betragen für die:

Die Komplikationsrate liegt bei erfahrenen Operateuren unter 1 % (4). Dies gilt auch für die Langzeitergebnisse (4, e6). In fortgeschrittenen Fällen mit sensiblen Störungen und Muskelatrophien profitieren die Patienten ebenfalls von dem Eingriff, auch noch in hohem Alter (1), insbesondere, was die Rückbildung der Schmerzsymptomatik und eine Verbesserung des Feingefühls anbelangt, während die Muskelatrophie meist nicht mehr reversibel ist (1, 4). Echte Rezidive nach initialer Beschwerdefreiheit kommen nur selten vor. Sie machten im eigenen Patientenkollektiv nur 27 % der Nachoperationen aus und betrafen vor allem Dialysepatienten (e7).

Bei inadäquater Technik und schlechter intraoperativer Übersicht besteht das Risiko der inkompletten Retinakulumspaltung mit anhaltenden und/oder progredienten Beschwerden, die einen Revisions- beziehungsweise Korrektureingriff erforderlich machen (e7, e8).

Kubitaltunnelsyndrom beziehungsweise Ulnarisneuropathie am Ellenbogen

Beim Kubitaltunnelsyndrom kommt es zu einer Kompression/Irritation des N. ulnaris am Ellenbogen. Es ist das zweithäufigste Nervenkompressionssyndrom und wurde früher als Sulcus-nervi-ulnaris-Syndrom bezeichnet. Es ist in der neurologischen Nomenklatur als „Ulnaris-Neuropathie am Ellenbogen“ bekannt (Grafik 2) .

Das Kubitaltunnelsyndrom, bei dem neben der Kompression im Kubitaltunnel beziehungsweise unter dem Osborne-Band auch eine Traktion eine gewisse Rolle spielt, kann man in eine idiopathische oder primäre Form, die Normvarianten wie die Ulnarisluxation und den M. epitrochleoanconaeus einschließt, und eine sekundäre oder symptomatische Form unterteilen. Zu letzterer zählen die Ulnarisspätparese nach Traumen oder Ellenbogengelenksarthrose und infolge extra- (selten intra-)neuraler Raumforderungen wie Lipome, Ganglien und andere.

Die Inzidenz beträgt 24,7 auf 100 000 Einwohner und ist damit etwa 13 × seltener als das Karpaltunnelsyndrom. Bei Männern kommt das Syndrom etwa doppelt so häufig vor wie bei Frauen (2). Nach Erfahrungen der Autoren ist im Gegensatz zum Karpaltunnelsyndrom die linke Seite fast dreimal so häufig betroffen wie die rechte (3, 19) (Kasten 2). Die häufigsten Differenzialdiagnosen stellen die akute Druckparese des N. ulnaris am Ellenbogen nach längerem Aufstützen beziehungsweise Auflegen des Ellenbogens und radikuläre C8- beziehungsweise Th1-Irritationen/-Läsionen dar.

Die Behandlung kann in leichteren Fällen beziehungsweise bei kurzer Anamnese zunächst konservativ sein. Eine nächtliche Ruhigstellung mit einer Ellenbogengelenksschiene kann zu einer signifikanten Besserung der Symptome führen. Bezüglich der Dauer der Schienenbehandlung und der Art der Schienung gibt es in einer klinischen Studie keinen Konsens (e9). Die operative Behandlung sollte jedenfalls vor dem Auftreten von Muskelatrophien erfolgen, da diese nur noch begrenzt rückbildungsfähig sind (2).

Eine operative Indikation ist gegeben (2, 19) bei:

Operative Behandlung – Für die Operation stehen mehrere konkurrierende Verfahren zur Verfügung, wobei in den letzten zehn Jahren ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat. Nach einer repräsentativen Statistik aus den USA ist dort die Zahl der Nervenverlagerungen von 49 % auf 38 % zurückgegangen, während die Gesamtzahl der Eingriffe um 47 % zugenommen hat (20). Die Methode der Wahl ist die einfache Dekompression, bei der das Kubitaltunnelretinakulum vollständig in offener Technik über einen 4–6 cm langen Zugang durchtrennt wird (19). Die zunehmend verbreitete endoskopisch-assistierte Dekompression zeigt nach bisherigen Erkenntnissen einer prospektiven verblindeten Studie (persönliche Mitteilung Prof. Schroeder, Neurochirurgie Greifswald) keine eindeutige Überlegenheit. Die Langzeitergebnisse waren für die Vorverlagerung (Follow-up 63,1 Monate) identisch mit denen nach Dekompression (Follow-up 52 Monate) (21). In Fällen mit ausgeprägten Veränderungen des Ellenbogengelenks ist eine primäre subkutane Verlagerung des N. ulnaris (eventuell in Verbindung mit einer partiellen Epikondylektomie) in Erwägung zu ziehen beziehungsweise zu bevorzugen (2) (Tabelle 3) .

Mehrere Metaanalysen und systematische Reviews ergaben keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen einfacher Dekompression und Vorverlagerung (subkutan und submuskulär) (2). Die Verlagerungsprozeduren hatten höhere Komplikationsquoten.

Für leichtere Fälle wurde nach einer randomisierten und kontrollierten Studie die konservative Behandlung unter Vermeidung ungünstiger Bewegungen und Armstellungen favorisiert (22, 23).

Die minimale mediale Epikondylektomie stellt eine Alternative zur subkutanen Vorverlagerung dar (e10). Für die Vorverlagerung des N. ulnaris konnten keine prädiktiven Faktoren für das Behandlungsergebnis identifiziert werden (24). Das traf auch für eine weitere Studie über das schmerzhafte Kubitaltunnelsyndrom zu (25).

Die Ergebnisse sind insgesamt schlechter als die beim Karpaltunnelsyndrom (23). Wenn Muskelatrophien länger als ein Jahr bestanden, bilden sie sich in der Regel nicht oder nur unzureichend zurück. Die Rezidivquote liegt für die endoskopische und offene Dekompression bei 12,2 % (e11).

Seltenere und teilweise umstrittene Kompressionssyndrome

Eine Übersicht dieser Engpasssyndrome ist – jeweils getrennt nach oberer und unterer Extremität – den Tabellen 4 und 5 zu entnehmen.

Was ist bei den selteneren Kompressionssyndromen gesichert, was fraglich?

Die relativ inhomogene Gruppe von zum Teil gesicherten, zum Teil ungeklärten und umstrittenen fokalen Nervenläsionen (siehe auch Tabelle 1) wird im Folgenden kurz charakterisiert und – soweit möglich – bewertet.

Bei dem Supinatortunnelsyndrom (N.interosseus-post. Syndrom [NIP]) handelt es sich um eine Kompression des N. radialis profundus unter der Frohseschen Arkade. Auch wenn eine systematische Übersichtsarbeit einen Mangel an kontrollierten klinischen Studien konstatiert, ergaben sich in zwei Beobachtungsstudien Hinweise auf die Effizienz der operativen Dekompression des NIP bei der idiopathischen Kompression (26). Eine gesicherte Operationsindikation besteht bei raumfordernden Tumoren (Lipome, Ganglien usw.). Das mit Paresen einhergehende Syndrom darf nicht mit dem sogenannten algetischen Supinatortunnel-Syndrom (beziehungsweise dem „Tennisellenbogen“) verwechselt werden, bei dem ausschließlich eine Schmerzsymptomatik vorliegt und eine eindeutige neurogene Mitbeteiligung bis heute nicht nachgewiesen werden konnte.

Bei der Meralgia paraesthetica, der Kompression des N. cutaneus femoris lateralis unter dem Leistenband, besteht wegen fehlender kontrollierter-randomisierter Studien nur eine schwache Evidenz für eine Behandlungsempfehlung. Die qualitativ hochwertigen Beobachtungsstudien zeigten etwa die gleiche Wirksamkeit für die Injektionsbehandlung wie für die operativen Verfahren (gleichermaßen die Dekompression und Nervendurchtrennung) und für die Fälle ohne Behandlung (27).

Das N. suprascapularis-Syndrom kann sowohl als idiopathische Form vorwiegend bei Hochleistungssportlern (beispielsweise Volley- und Basketballspielern) als auch symptomatisch infolge eines Ganglions auftreten. Bei therapieresistentem Schmerzsyndrom, Atrophien der Mm. supra- und infraspinatus sowie nachgewiesenem Ganglion kommt eine operative Behandlung – sowohl offen als auch endoskopisch – in Frage (28, e12). Kontrollierte Studien fehlen bisher.

Das Thoracic-outlet-Syndrom (TOS) ist eines der umstrittensten Nervenkompressionssyndrome. Die Diagnose bei Patienten mit Schmerzen ohne eindeutige neurologische Ausfälle (atypisches TOS) ist schwierig, allerdings könnte die MR-Neurographie zukünftig zu einer größeren diagnostischen Sicherheit beitragen (29). Konservative Behandlungsverfahren, wie die Injektion von Botulinumtoxin in die Mm. scalenus anterior und medius, hatten in einer randomisierten, doppelblinden Studie keinen Effekt auf Schmerzen und Parästhesien (30). Die Entscheidung zur operativen Behandlung ist aufgrund fehlender evidenzbasierter Kriterien nach wie vor als individuelle Übereinkunft zwischen Operateur und Patient anzusehen (31).

Bei dem seltenen Wartenberg-Syndrom, einer Kompression des Ramus superficialis nervi radialis, auch als Cheiralgie bezeichnet, stehen Schmerzen und Parästhesien am radialen Handrücken und Daumen im Vordergrund (3). Sensible Ausfälle finden sich selten, die Neurographie ist nur bei pathologischem Befund verlässlich. Sonographische Befunde und Behandlungsergebnisse wurden bisher nur in Einzelfällen mitgeteilt. Auch hier fehlen kontrollierte klinische Studien zur Operationsempfehlung. Häufiger ist die externe Druckläsion des Hautnervs, insbesondere durch scharfrandige Armbänder.

Beim Loge-de-Guyon-Syndrom und der distalen N.-ulnaris-Kompression am Handgelenk finden sich je nach Läsionsort unterschiedliche Symptome. Für die häufigere isolierte Ramus-profundus-Kompression sind ein positives Froment-Zeichen und einer Atrophie des Spatium interosseum I typisch, während sensible Störungen fehlen. Ursache sind öfters Ganglien und externe Druckläsionen ( „Radfahrerlähmung“). Aufgrund der Seltenheit des Krankheitsbildes liegen keine kontrollierten Therapiestudien vor. Ganglien mit progredienter neurologischer Symptomatik werden operativ entfernt. Druckläsionen bilden sich in der Regel spontan zurück.

Das Pronator- und N.-interosseus-anterior-Syndrom, infolge einer Kompression des N. medianus unmittelbar distal der Ellenbeuge oder des N. interosseus anterior sind selten und umstritten (32). Größere Fallserien und kontrollierte therapeutische Studien gibt es nicht. Die Klinik ähnelt dem Kiloh-Nevin-Syndrom, bei dem eine entzündliche Genese angenommen wird. Ursächlich wurden pathogenetisch ungeklärte Faszikeltorsionen bereits im Bereich des Hauptstamms des N. medianus und proximal des Abgangs des N. interosseus anterior beschrieben (33). Beziehungen zu immunologischen Mononeuropathien wie der multifokalen motorischen Neuropathie (MMN) sind nicht auszuschließen, wie eine gerade publizierte Studie zeigt (34).

Der Morton-Metatarsalgie liegt eine Kompression der Interdigitalnerven durch Verlagerung des Nerven-Gefäß-Bündels vorzugsweise im Interdigitalraum D3/4 zugrunde, meist mit begleitender Bursitis. Die typische Symptomatik („kann keine engen Schuhe tragen“) und ein positives Mulder-Zeichen erlauben häufig eine klinische „Anhiebs“-Diagnose. Während sich lokale Infiltrationen von Alkohol als unwirksam (e13) beziehungsweise von Kortikoiden als zeitlich begrenzt wirksam (35) erwiesen haben, wird nach Exstirpation des Pseudoneuroms über einen dorsalen (oder plantaren) Zugang eine Erfolgsquote von 70–90 % berichtet (36, e14, e15).

Das Tarsaltunnelsyndrom ist zumindest in den Fällen, bei denen eine Raumforderung (Ganglien oder Schwannome) oder ein vorausgegangenes Trauma nicht nachgewiesen wurden, umstritten. Die idiopathische Form ist sehr selten und wird zu häufig diagnostiziert (37), zumal dann, wenn keine eindeutigen elektrophysiologischen und bildgebenden Befunde vorliegen. Eine gesicherte Operationsindikation gibt es nur bei Raumforderungen, sonst ist keine evidenzbasierte Therapieempfehlung möglich.

Selten erkannt werden die idiopathischen Kompressionssyndrome des distalen N. peroneus profundus unter dem Retinaculum extensoren, auch als vorderes Tarsaltunnelsyndrom bekannt (e16). Häufiger sind proximale fokale Neuropathien des N. peronaeus im Bereich des Fibulaköpfchens als externe, lagerungsbedingte Läsionen und solche durch Zerrungsverletzungen. Eine Operationsindikation ergibt sich in der Regel bei sonographisch nachgewiesenen intra- oder extraneuralen Ganglienzysten, die vom Tibiofibulargelenk ausgehen (38).

Multiple Dekompressionen des N. tibialis und seiner Äste in den Tarsaltunneln und des N. fibularis am Kniegelenk wurden zur Ulzeraprophylaxe bei der diabetischen Polyneuropathie empfohlen. Ein systematisches Review (39) kam zu dem Ergebnis, dass keine randomisierte und kontrollierte oder gut dokumentierte prospektive Studie den Wirksamkeitsnachweis der chirurgischen Behandlung erbringen konnte. Trotz weiterer Studien, auch mit hohen Fallzahlen (e17–e19), ist eine endgültige Bewertung des Nutzens der dekompressiven Therapie zurzeit nicht möglich.

Zu den kontroversen Kompressionssyndromen zählt das Piriformis-Syndrom, bei dem eine Kompression des N. ischiadicus im Foramen infrapiriforme angenommen wird, und für das es keine gesicherten diagnostischen und therapeutischen Verfahren gibt (e20). Lokale Infiltrationen von Anästhetika, Kortikoiden und Botulinumtoxin, zumeist unter Bildgebung der Computertomographie oder Ultraschallsonographie, werden berichtet (e21, e22).

Kompressionssyndrome der Nn. ilioinguinalis und iliohypogastriccus sind selten. Meist handelt es sich um iatrogene Läsionen nach Herniotomien oder urologischen Eingriffen, Laparoskopien, Gefäßpunktionen, Beckenkammbiopsien und posttraumatischen Hämatomen.

Diagnostische und therapeutische Blockaden des Nervs haben sich bei einem Postherniorrhaphieschmerz als untauglich erwiesen (e23).

Ähnlich problematisch sind die Erfahrungen mit der Pudendus-Neuralgie bei Schmerzen der Perinealregion. Die Elektrophysiologie hat nur eine limitierte Sensitivität und Spezifität für das klinisch diagnostizierte Beschwerdebild (e24). Der operativen Dekompression wird in zwei Drittel der Fälle eine begrenzte Wirksamkeit zugeschrieben (e25).

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten eingereicht: 27. 6. 2014, revidierte Fassung angenommen: 31. 7. 2014

Anschrift für die Verfasser Dr. med. Hans Assmus Abtsweg 13, 69198 Schriesheim hans-assmus@t-online.de

Zitierweise Assmus H, Antoniadis G, Bischoff C: Carpal and cubital tunnel and other rare nerve compression syndromes. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 14–26. DOI: 10.3238/arztebl.2015.0014

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